Enthüllt!
Sonntag, 31. Mai 2009
Man hatte sich ja schon gefragt, was eigentlich diese Ritterkämpfe in Roland Schimmelpfennigs Hier und Jetzt machen. An sich geht es darin um eine eher zeitgenössische Hochzeitsfeier und um einen Seitensprung, der in einem Elektromarkt beginnt. Und plötzlich greifen die Hochzeitsgäste nach meterhohen Schwertern oder nach einem goldenen Horn und gebärden sich überhaupt, als wollten sie zum Sängerwettstreit auf der Wartburg. Bei solchen Zeitsprüngen sieht man dann schnell literarisches Traditionsbewusstsein am Werke und preist die allgemeinmenschliche Tiefe, aus der heraus das "Hier und Jetzt" ins "Immer schon und fürderhin" verwoben ist.
Dabei ist's viel profaner! Nach Löhles Lama enthüllen wir den zweiten Fall eines Wettbewerbsstücks, das konsequent auf die Belange von Mülheim hin geschrieben ist ("site specific" nennt man das). Das große "Pfingst-Spektakulum mit Ritter-Turnier" ist an diesem Wochenende auf dem Schloss Broich (beim Ringlokschuppen) zu erleben: Hofdamen in Samtgewändern, Mägde in Leinen, Schwerterschmiede und allerlei Gewerke sowie Ritter en masse bevölkern das Zeltlager neben der alten Burg.
Sie also hat Roland Schimmelpfennig im Blick gehabt, hier sucht er sein Publikum. Was uns in seinem Stück wie eine elegische Träumerei erschien, was uns romantisch anwehte, ist kompromisslose Zielgruppenansprache! Nur hat sich Schimmelpfennig mit dem Termin verplant. Seine Knappschaften und Rittersleute sind zu spät in Mülheim eingetroffen: exakt eine Woche nach dem "Hier und Jetzt"-Gastspiel. Den Publikumspreis muss er sich also ohne sie erstreiten.
P.S.: Es erhellt sich jetzt auch, weshalb Roland Schimmelpfennig beim Publikumsgespräch am letzten Wochenende fehlte. Etwas muss mit seinem Kalender grundlegend verkehrt sein. Wir sollten ihn noch einmal in diesen Tagen bei den Zelten auf Schloss Broich suchen. Bis morgen ist die Heerschar noch dort.
Christian Rakow, 20:28 Uhr