Beitragsseiten |
---|
Auszug "Cinecittà aperta" von René Pollesch |
Seite 2 |
Seite 3 |
Seite 4 |
Seite 5 |
Alle Seiten |
Auszug aus "Cinecittà aperta", gelesen vom Autor-Regisseur und seinen Schauspielern bei der Preisverleihung am 14. Juni 2009
Unsterbliche Überreste
von René Pollesch
MARTIN: In einem Bild der Geschichte, die immer als unsere Geschichte erzählt wird, zeichnet sich keine Gestalt unseres Wesens ab, das hab ich immer vermutet, dass die Historie nichts mit mir zu tun hat. Und d a s ist Darwin. Die Erkenntnis, dass die Historie nichts mit mir zu tun hat. Woher ich komme, kann mir Darwin erklären, aber nicht die Geschichte. Nicht Deutschland im Jahre Null. Und wie Rosselini das will, lernt auch kein Kind Lebensfreude vor dem Ausgang der Geschichte. Die Lebensfreude ist das Ergebnis von strategisch offenen Kräftekonstellationen und nicht die Väter, und nicht die Mütter. Woher ich komme, das bedeutet nichts, wenn ich sehe wie meine Mutter ihre Wesenheit ändert im Sterben, ich sehe sie diskontinuierlich, zufällig etwas anderes werden. Das ist der Tod und das ist der Schwarzmarkt. Das ist die Errungenschaft eine Personenwaage an den Mann zu bringen. Das ist nicht die Geschichte, das ist nicht der Tod, das ist der Körper hier und jetzt. Und das hier und jetzt darf niemals sentimental verstanden werden.
Trystan: Das ist Rainer Maria Ferrari.
TINE: Guten Abend!
INGA: Er dreht einen historischen Film hier!
TINE: Wissen Sie, in Roberto Rosselinis Deutschland im Jahre Null...
INGA: Darf ich mal dazwischen?
MARTIN: ja, mein Schatz!
INGA: Ich will nicht immer hier drin bleiben in diesem trailer.
TINE: Aber du kannst da nicht raus gehen! da drausen schwirren eine menge Bekannte von mir rum! Geh wieder rein!
T: Rocco! Was machst du denn hier?
C: Irgendwas fehlt.
T: Du brauchst etwas Kohle im Gesicht.
Tr: Oder hier auf der Nase... wie wär es mit einem Pickel? Du bist einfach zu schön für diesen Film. Was spielt er noch mal? Marcel Reich Ranicki? Du bist viel zu schön für Reich-Ranicki.
T: Und wen spielst du?
I: Stephen Hawkins.
Tr: Das soll Steven Hawkins sein? Hat er wenigstens einen Rollstuhl? Das ist ja verrückt. Wer dreht denn den Film?
T: Rainer Maria Ferrari.
I: Das ist schon komisch. Das ich hier Stephen Hawkins spiele. Dieser Körper hier ist doch viel schöner als Stephen Hawkins.
T: Na ich weiß nicht. Ich finde, du siehst ihm sehr ähnlich.
I: Womit hat man es hier bloß zu tun, dass jeder denkt, ich wäre die geeignete Besetzung für Stephen Hawkins.
M: Können wir ihm nicht wenigstens einen Pickel auf die Nase malen? Der sieht doch viel zu gut aus für Stephen Hawkins.
TR: Rainer Maria Ferrari! Wir können keine Geschichte erzählen, die kritisch gemeint ist.
M: Da kannst du dir noch soviel Kohle oder Bauschutt von 1947 ins Gesicht schmiern, bei jeder Geschichte, die kritisch gemeint ist, hört man nur die Fehler, die Mängel, die negativen Eigenschaften des Gegenstandes der kritisiert wird. Aber wie macht man klar, dass die Kritik kategorisch gemeint ist?